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1.April 2017

Yannick Büchle 01.04.2017
Ich habe die Ehre euch in den nächsten zehn Minuten mit in unseren Kältebus Alltag zu nehmen. Wobei man eigentlich nicht von einem Alltag reden kann. Jede Nacht im Kältebus ist anders. So eine Nacht im Kältebus kann spannend, faszinierend, schockierend, deprimierend, witzig oder auch stressig sein.
Es gibt Augenblicke der puren Freude, aber auch Augenblicke der Fassungslosigkeit.
All das ist Kältebus.
Ich habe viele einzigartige Momente in meinem Kältebus Tagebuch festgehalten. Ich möchte euch gerne daran teilhaben lassen, weil es das Beste ist, Erlebnisse zu teilen und nicht für sich zu behalten.
    
9.November:
Es wird Nacht für Nacht kälter. Das wirkt sich auf unsere Anrufe aus. In dieser Nacht sind es 32 Anrufe, die bei uns eingehen. Es gibt viel zu tun.
Wir werden zum S-Bahnhof Schöneweide gerufen. Dort liegt ein spanischer Mann. Mit meinem Schulspanisch versuche ich 15 Minuten zu erklären, was wir machen und dass wir ihm helfen können. Der Mann hört mir aufmerksam zu, will aber keinerlei Hilfe. Mein Kollege Matze lässt nicht locker und haut ein einziges Wort raus, was er auf Spanisch kann: „El coche“, was soviel bedeutet wie „Das Auto“ und zeigt auf den Kältebus. Auf einmal steht der Mann auf, packt seine Sachen und kommt mit uns zum Bus. Unglaublich!

An der Rigaer Straße treffen wir auf einen Mann, der schutzlos und stark betrunken vor Kaisers liegt. Er ist fix und fertig. Unsere Hilfe kommt zum richtigen Zeitpunkt. Dankend nimmt er unser Angebot an, ihn in eine Notübernachtung zu fahren. Im Auto sitzt schon der spanischer Mann und eine polnische Frau.
Die drei Personen kennen sich nicht. Doch nun spielen sich im Auto einzigartige Szenen ab.
Der spanische Mann nimmt den deutschen Mann, der gerade noch vor Kaisers lag in den Arm und schnallt ihn an. Er tröstet ihn. Die polnische Frau kümmert sich um ihn und schimpft ein bisschen mit ihm, wie mit einem 16 jährigen Sohn, der das erste Mal betrunken von einer Party nach Hause kommt. Augenblicke der Geborgenheit.
Die drei Menschen kennen sich nicht, was sie verbindet ist das Leben auf der Straße.

Kurz vor Schichtende bekommen wir von einem Kinomitarbeiter am Zoopalast die Nachricht, dass dort vor dem Eingang ein obdachloser Rollstuhlfahrer nächtigen soll. Also machen wir uns noch auf den Weg zum Zoo. Dort angekommen wird ziemlich schnell klar, dass es eine Sprachbarriere gibt. Der Mann kommt aus Rumänien und spricht weder Englisch, noch Deutsch. So muss uns eine Übersetzer App helfen. Als wir versuchen mithilfe der App auf Rumänisch unsere Hilfe anzubieten, fängt der Mann laut an zu lachen und bekommt sich nicht mehr ein. Unsere Aussprache war wohl so miserabel, dass es schon wieder witzig war.
Im Endeffekt können wir ihn trotzdem überzeugen, dass er mit uns in eine Notübernachtung mitkommt.

11.November:
In Schöneberg finden wir einen Mann vor einer Hofeinfahrt. Bei Minusgraden liegt er dort ohne Schlafsack, ohne jegliche Decken. Schutzlos!
Er nimmt unsere Hilfe gerne an und fährt mit uns mit. Wir fragen unsere Gäste immer, welche Musik sie gerne hören. Er ist ein großer Fan der Band Green Day. Also hören wir zusammen Green Day. Es ist faszinierend. Dieser Mensch, der gerade noch schutzlos, frierend vor einer Hofeinfahrt lag, grölt nun die Songtexte mit und feiert den Moment.
Als wir an der Notübernachtung ankommen, läuft die Musik weiter. Er steigt aus hüpft um den Bus, wie Rumpelstilzchen zu seinen besten Zeiten und schwingt mit seinen langen Haaren von links nach rechts. Mit Mühe schaffen wir es, ihm klarzumachen, dass er jetzt in die Notübernachtung muss, um noch einen Schlafplatz zu bekommen.

12.Dezember
Es hat Minusgrade in der Nacht. Wir bekommen einen Anruf, dass ein obdachloser Mann irgendwo im Tiergarten zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor nächtigen soll. Wir machen uns auf den Weg. Die Suche dauert lange. Aber wir werden fündig. Ein Mann liegt nur mit einem T-Shirt begleitet auf dem gefrorenen Boden. Er wirkt total verwirrt. Sein Name ist Aluis. Wir bringen ihn zur Lehrter Straße. Zum Glück hat ihn in dieser Nacht jemand entdeckt. Wer weiß, was bei diesen Temperaturen alles hätte passieren können. Seit diesem Tag findet er den Weg zur NÜ1 täglich selbst.
 
26.Januar
Die Nächte sind zum Glück ein bisschen milder geworden. Trotzdem haben wir in dieser Nacht wieder intensive Erlebnisse. In Tegel finden wir einen Mann, der so betrunken ist, dass er nicht mal mehr reden kann und auch seine Beine zum Einsteigen nicht benutzt. Mit Mühe und Not befördern wir ihn in den Bus. In der Hoffnung, dass er sich bei uns ausnüchtert und in ein paar Stunden wieder so fit ist, um ein paar Schritte vom Bus in eine Notübernachtung zu gehen. Von wegen. Alle 5 Sekunden gibt der Mann Töne von sich, die sich in etwa so anhören:“Öhhhh“. Ganz schön nervig. Wir versuchen auf alle mögliche Art und Weisen auf ihn einzuwirken. Keine Chance. Wir lassen uns über uns ergehen. Als zweites holen wir einen Mann vom Ostbahnhof ab. Er ist sehr aggressiv geladen. Natürlich eine Tramkombination. Enrico (der Mann vom Ostbahnhof) dreht durch und will den anderen Mann im Bus verschlagen. Wir halten an und ich setze mich zwischen die Beiden. Mein Kollege Corni fährt den Bus weiter. Irgendwann halten wir es nicht mehr aus und die Spannung im Bus ist so groß, dass wir einen Krankenwagen holen, der den Mann, der immer noch Laute von sich gibt, zur Beobachtung mit in ein Krankenhaus nehmen soll. Zum Glück sind es zwei junge Sanitäter, die den Mann ohne Diskussion mitnehmen. Oft braucht es viel Diskussionsfähigkeit und Standhaftigkeit, dass Sanitäter eine obdachlose Person mit in ein Krankenhaus nehmen. Der Grund dahinter ist, dass die meisten Obdachlosen nicht krankenversichert sind und das Krankenhaus so auf den Kosten sitzen bleibt. Es kehrt Ruhe im Bus ein. Eigentlich wollte uns heute ein Fernsehteam von 3sat begleiten, das kurzfristig aber abgesagt hat. Unglaublich, wie Gott manchmal Dinge lenkt. Unvorstellbar, wie es gewesen wäre, wenn bei dieser turbulenten Fahrt noch ein Fernsehteam gefilmt hätte.
 
28.Januar
Wieder treffen wir heute auf Enrico. Heute ist er total gut gelaunt. Er ist nicht allein im Auto. Neben ihm ein polnischer und ein litauischer Mann. Ich stelle wie immer die Frage, welche Musik sich gewünscht wird. Aufgrund der Konstellation in unserem Bus, rechne ich mit einer Antwort wie: ACDC oder Eminem. Aber nein: Alle drei wünschen sich: Helene Fischer. Im Bus ist Ausnahmezustand. Absolute Party!!!
Momente, in denen obdachlose Menschen für ein paar Minuten das ganze Elend hinter sich lassen können. Das tut gut!


9. Februar
40 Anrufe. Viel koordinieren. Wir fahren zu einem Krankenhaus und sollen einen obdachlosen Mann in eine Notübernachtung bringen. Als wir am Krankenhaus ankommen, liegt der Mann noch im Zimmer. Immer wenn er versucht aufzutreten, hat er große Schmerzen und schreit. Unmöglich, ihn so in eine Notübernachtung zu bringen. Wir schildern der Krankenschwester die Situation und bekommen Worte zu hören wie: „Der simuliert nur.“ Ich bin fassungslos über so ein Verhalten gegenüber obdachlosen Menschen und gegenüber uns. Als der Chefarzt dazu kommt, geht er sachlich mit der Situation um und wir erklären ihm, dass es nicht möglich ist, den Mann in diesem Zustand mit in eine Notübernachtung zu nehmen.
Der Arzt entschuldigt sich bei uns und sagt, dass der Mann dann noch eine Nacht im Krankenhaus bleiben soll.
Kurz vor Schichtende sind Corni und ich aufgrund der vielen Anrufe und Erlebnisse ausgepowert. Wir bekommen noch eine Anfrage vom Bahnhof Zoo. Wir entscheiden uns dorthin zu fahren. Es ist die absolut richtige Entscheidung. Dort ist Knut. Wir bringen ihn zur Lehrter Straße. Aus Erfahrungen weiß ich, dass Knut einer der größten Fans der toten Hosen ist, die man sich vorstellen kann. Sein Lieblingslied: Hier kommt Alex.
Wieder absolute Party im Auto. Knut will die ganze Zeit bei Corni einschlagen, der jedoch muss seine beiden Hände am Lenkrad behalten, um den Wagen sicher nach Hause zu bringen. Es macht mich glücklich, Knut so glücklich zu sehen. Er muss so viel kämpfen in seinem Leben. Deshalb ist es toll, dass wir ihm Momente bieten können, in denen er die ganzen Sorgen hinter sich lässt.

3.März
An einer Bushaltestelle treffen wir auf einen Mann, der dort mit einer riesen Sackkarre sitzt. Wir kommen ins Gespräch und bieten ihm an, ihn mit in die Lehrter Straße zu nehmen. Er willigt ein. Es ist eine logistische Meisterleistung, dass wir die Sackkarre im Bus verstauen können. Wir fragen ihn, ob er schon mal in der NÜ1 war. Dann legt er los:“ Ja, das war klasse damals. Ich finde es super in dieser Gastronomie. All you can eat. Ich schlafe dort aber nicht wirklich, sondern hänge lieber nachts am Tresen ab.“
Eine interessante Sichtweise auf die NÜ1.

28. März
Wir bekommen einen Anruf aus einem Krankenhaus. Die Krankenschwester schildert mir die Situation wie folgt: Wir haben ein Problem und wollten fragen, ob ihr uns helfen könnt und den Fall übernehmen könntet. Wir haben in unserem Krankenhaus einen Patienten mit einem elektrischen Rollstuhl. Er müsste von hier in eine andere Klinik verlegt werden. Da unsere Krankentransporte für so etwas nicht ausgestattet sind, wollte ich nachfragen, ob ihr uns da helfen könntet. Ich muss mir das Lachen verkneifen. Interessant wie unsere Kältebus Arbeit bei manchen Menschen wahrgenommen wird. Solche Menschen würde ich gerne eine Mitfahrt im Kältebus gönnen, damit sie sich einen Einblick verschaffen können, was wir wirklich machen.


Das waren ein paar Einblicke in diesen Winter. Ich bin dankbar, dabei gewesen sein zu können und so viel erlebt zu haben. Erlebnisse die mich fassungslos und traurig machen aber auch ganz viele Erlebnisse die mich glücklich machen und erfüllen.
In diesem Winter sind bei uns 3115 Anrufe eingegangen und wir konnten 944 Menschen aus der Kälte in eine Notübernachtung bringen. Menschen, die es in den meisten Fällen nicht mehr aus eigener Kraft geschafft hätten. Das zeigt mir, wie wichtig diese Arbeit ist. Oft sind das Menschen, die nicht ganz leicht zu händeln sind, da sie es aus verschiedenen Gründen nicht selbst in eine Notübernachtung schaffen. Danke, dass ihr euch diesen Menschen annehmt, egal ob sie Krätze oder Läuse haben, körperlich gebrechlich sind, im Rollstuhl sitzen, kein Deutsch sprechen oder auch alkoholkrank sind.
Danke, dass ihr keinen Unterschied macht, sondern dass ihr der Unterscheid seid in dieser Stadt, in der so viele Menschen wegschauen.
Danke!

Yannick Büchle