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13. Januar 2017

„Kältehilfe-Arbeit hört nicht um 3 auf!“

Irgendwann in dieser Nacht sagte meine geschätzte Mitfahrerin Sophia zu mir: "Oliver, die Arbeit des Kältebusses hört nicht immer um 3 Uhr auf!" Und so geschah es auch: Nach 158 gefahrenen Kilometern, 40 bearbeiteten telefonischen Hinweisen der Bevölkerung stellten wir den Wagen um Punkt 04:15 Uhr am Samstag vor der Lehrter Straße ab. Normalerweise ist um drei Schluss.

Aber der Reihe nach: Es war kalt! Ca. 1 Grad Celsius, nass, Schneeregen, im Verlauf der Nacht gingen die Temperaturen weiter zurück, die Scheiben der geparkten Pkw froren zu.

Blick auf die Heckscheibe des KältebussesFoto: Jacob Arthur Pritchard

Den ersten Hinweis erhielten wir von einem Taxi-Fahrer an der Halte Alt-Mariendorf. Er hätte einen wohnungslosen Menschen angetroffen, der gern in eine Notübernachtung mitkommen würde. Wir also auf nach Alt-Mariendorf. Dort angekommen war niemand zu finden, weder Taxi-Fahrer noch Wohnungsloser. Sophia hatte die Nummer des Taxi-Fahrers gespeichert und rief zurück. Ja, er stehe Alt-Tempelhof! Ich – stinksauer – wendete den Wagen und lenkte zurück, wo wir vor 10 Minuten bereits vorbei gekommen waren. In dem Moment klopfte eine junge Dame an die Scheibe: Sophia kurbelte runter und nahm eine 20-€-Spende mit den Worten entgegen: „Toll, dass es Euch gibt und Ihr den Menschen helft!“ Werbung für den Kältebus Nr. 1 in dieser Nacht!

Wir also Richtung Alt-Tempelhof: ein einziges Taxi zu sehen und Dirk* auf zwei Krücken mit einem Bein(!). Sophia dankte dem Taxi-Fahrer, der Dirk im Taxi Aufenthalt gewährte. Langsam, auf zwei Krücken und einem Bein bewegte sich Dirk in den Kältebus. Wir nahmen ihn mit zum Nachtcafé der City-Station. Auf dem Weg dorthin machten wir einen Schwenk zur Kirchengemeinde St. Richard in Neukölln und nahmen Manfred mit, der keinen freien Schlafplatz mehr ergattern konnte. Manfred ist erst seit zwei Wochen in Berlin, ohne Arbeit, seine Freundin hat ihn vor der Tür gesetzt. Ich denke, er hat eine gute Prognose, war schon bei der Wohnungsvermittlung in der Levetzowstraße und wird wohl einen Wohnplatz finden. In der Richard-Gemeinde tun tolle Menschen ihren Dienst, rein ehrenamtlich, leider kann es sich die Gemeinde nur leisten, einmal in der Woche zur Notübernachtung zu öffnen.

(Anmerkung: Unser Taxi-Fahrer rief nochmals in der Nacht an und unterrichtete uns, dass er wieder einen Wohnungslosen angetroffen hat. Ein aufmerksamer Mitmensch, Werbung für den Kältebus Nr. 2!).

Wohnungsloser wird in Kältebus gebracht

Nachdem wir Dirk und Manfred wohlbehalten ins Nachtcafé gebracht hatten, ging’s auf nach Spandau: Lynarstraße, vor Netto! Da ich nun seit 37 Jahren hier lebe und rumfahre, brauchte ich kein Navi, um diesen lieben Menschen zu finden. Eine wirklich beeindruckende Persönlichkeit, ein Hüne, ca. 1,90 m mit langen grau-schwarzen Haaren, Bulgare, kein Wort deutsch, dafür mit Französisch gut unterwegs. Mein 1-jähriges Schul-Französisch trug einen kleinen Teil zur Kommunikation bei, aber: Das ist das Tolle an der Arbeit im Team: Sophia kannte ihn aus der Bahnhofsmission, sprach ihn mit Namen an und er: „Sophia ….!“ Give me Five und beide klatschten sich die Hände ab. Sophia und meine Wenigkeit bekamen einen Handkuss und Sophia konnte ihn bewegen, mitzukommen. Sie sammelte auch noch den gesamten, nicht unbeträchtlichen Haushalt ein und wir verpackten alles in den Bus und ab zur City-Station … und da ging ein großes Lächeln über sein Gesicht, ein Zahn im Unterkiefer und wenige mehr darüber. Übersetzt sagte er „Bringt mich zu einem Platz, wo keiner mit mir einen Krieg anfängt!“

Fehlanzeige - auch das ist Alltag

Zwischendurch gingen zahlreiche Anrufe ein: Wir entschieden uns, nach Prenzelberg zum pädagogisch geleiteten Kinderspielplatz in der Kollwitzstraße zu fahren. Fehlanzeige: auch das gibt es in unserer Arbeit, wir fanden niemand an und fuhren unverrichteter Dinge weiter.

Uns erreichte ein Anruf einer jungen Frau, die einen Wohnungslosen auf der Grenze Treptow/Neukölln gesehen hat. Der Schilderung nach handelte es sich um eine Person, die wir schon im letzten Winter oft aufsuchten, die aber nie in eine Unterkunft kam. Weiteres dazu später.

Einem nächsten Hinweis folgend fuhren wir zum Ostkreuz. Zunächst wie immer an die falsche Stelle, dann aber Simplon- bzw. Sonntagstraße. Wir gingen den Fußweg zur S-Bahn rauf und da saß bzw. kniete er: Dimitri, 27 Jahre alt, sturzbetrunken, in seinen eigenen und anderen Flüssigkeiten, eiskalte Hände. Seit zwei Wochen in Berlin, beim Militärdienst in der Ukraine die Knie kaputtgemacht, mit Krücken, ohne Freunde! Das mich sehr beeindruckende Moment war, dass der Anrufer über eine Stunde bei ihm geblieben war, bis wir kamen. Wir dankten ihm sehr. Es war eisglatt und  Sophia sagte: „Oliver, hol den Wagen!“ Unter Missachtung der Straßenverkehrsordnung fuhr ich den Kältebus auf den Fußweg zur S-Bahn ca. einen viertel Kilometer zu Dimitri. Zahlreiche Passanten umringten uns und wollten helfen.

Jeder, der Friedrichshain und Berlin kennt, weiß, was um 2.00 Uhr dort los ist. Ein Treiben des Partyvolks, als gäbe es kein Morgen mehr (Werbung Nr. 3 für den Kältebus)! Ein freundlicher Mitbürger hatte Dimitri noch einen Döner geschenkt. Wie sich später rausstellte, hat er eine „Brotallergie“. So aß er den Döner und den Salat ohne Brot und so sah danach auch das Wageninnere aus. Wir fuhren ihn zur „Halle-luja“ in der Frankfurter Allee, wo er gut versorgt wurde und für die Nacht einen warmen Schlafplatz fand. Ein lieber Ehrenamtlicher half uns, den Wagen von Brotresten zu säubern.

Ein leeres Bett unter der Brücke

Zum Schluss die Krankenhäuser: In der Arbeit des Kältebusses erhalten wir oft Anrufe von Krankenhäusern, denen es aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich ist, Wohnungslose nach erfolgter medizinischer Behandlung in den Räumlichkeiten der Rettungsstellen Aufenthalt zu gewähren. Sprich, sie müssen weg. Wir fahren die Krankenhäuser in der Nacht recht spät an, da unsere Gäste dort erst einmal im Warmen sind.

Wir fuhren zuerst zum Hedwig-Krankenhaus und brachten dann einen jungen, recht unfreundlichen Herren, dem die kaputten Füße behandelt wurden, in die „Halle-luja“ in die Frankfurter Allee. Danach ging es quer durch die Stadt zum Behring-Krankenhaus nach Zehlendorf Süd. Auf dem Weg machten wir Halt bei dem uns schon aus vergangenen Jahren bekannten Wohnungslosen auf der Grenze von Treptow zu Neukölln. Er schlief ruhig und fest: Wir legten ihm ein Frühstück aus Pfannkuchen hin. Es sah hier nicht danach aus, dass ihm Ratten das Frühstück streitig machen könnten.

Im Behring-Krankenhaus wurden wir von der Nachtschicht auf das Freundlichste begrüßt. Uns wurde Kaffee, Tee oder Schokolade angeboten, wir lehnten freundlich ab. Wir nahmen Gregori als letzten Gast in dieser Nacht mit zur großen Notübernachtung in die Lehrter Straße. 04:15 Schichtende: Sophia reinigte die Kannen, wir sperrten unseren Korb wie gewohnt ordentlich weg. Nun aber ab nach Hause. Sophia und ich wohnen in der gleichen Ecke, sodass ich sie nach der Schicht gern nach Hause fahre.

Aber Moment: Kältehilfe-Arbeit macht nicht vor der Zeit halt. Einen hatten wir noch auf dem Schirm, Hauptstraße Schöneberg, im Hauseingang Nr. XY … auf unserem Heimweg. So packten wir einen Schlafsack und eine Isomatte in meinen funkelnagelneuen Dienst-Audi und fuhren los. Da lag er: Wir schlichen uns an und legten leise die Isomatte und den Schlafsack neben ihn. Er wurde wach, wir grüßten ihn, er freute sich riesig über unsere Mitbringsel. Er packte in dieser verdammt kalten Nacht den Schlafsack sofort aus. So konnte er wenigstens noch drei Stunden dort etwas wärmer liegen.

Am nächsten Freitag fahren wir wieder los.

Oliver Stemmann
ehrenamtlicher Kältebusfahrer

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